Auf dem Aktienmarkt herrscht 1999 Euphorie: Der Nemax 50 wird zum ersten Mal an der Frankfurter Börse notiert als Index des sogenannten Neuen Markts. Der neue Markt hatte eine große Anziehungskraft. Der Traum vom schnellen Geld lockte viele Anleger. Sie hofften, das eigene Vermögen durch Kursgewinne über Nacht zu vermehren. Die Phantasie der Börsianer wurde beflügelt von den technologischen Möglichkeiten, die mobile Kommunikation und das Internet boten.


Neue Chancen, ignorierte Risiken
Weit verbreitet war die Überzeugung, der von der Digitalisierung getriebene Innovationsschub würde die Abfolge der Konjunkturzyklen außer Kraft setzen. Angesichts immer höherer Produktivitätsgewinne käme es in Zukunft zu keiner Rezession mehr. So zumindest lautete der Plan.
Und tatsächlich konnte Deutschland gegen Ende der 1990er Jahre eine bemerkenswerte Zunahme an Firmengründungen verzeichnen. Fast jede Geschäftsidee, die irgendetwas mit New Media oder Internet zu tun hatte, wurde umgesetzt, befeuert durch Investoren und Kapitalgesellschaften, die erhebliche Geldmengen in diese neuen Unternehmen pumpten. Die Aussicht auf schnelles Wachstum schaltete alle vernünftige Skepsis aus.
Deutschland im Gründerrausch
Vorbild für den deutschen Nemax war der US-amerikanische Nasdaq, der auf der anderen Seite des Atlantiks Rekordgewinne verzeichnete. Zunächst erfüllten sich die in den neuen Index gesetzten Hoffnungen auch: Der Nemax 50 kletterte am 10. März 2000 auf 9 631,53 Punkte, das sollte sein Höchststand bleiben.
Rund 300 000 „innovative, unternehmensnahe Dienstleistungsunternehmen" registrierte die regierungsamtliche Statistik in Deutschland um die Jahrtausendwende. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch neu entstandene Infrastruktur wie schnelles Internet sowie die dazugehörige Soft- und Hardware. Viele dieser Neugründungen setzten einfach auf die digitale Transformation von Geschäftsmodellen der "Old Economy".


Die Dotcom-Blase platzte
Kritiker*innen dieser Euphorie wurden selten ernst genommen. Börsen-Guru André Kostolany etwa warnte schon 1998 in der NDR-Talkshow, bei der New Economy handele es sich um einen „Betrug mit gezinkten Karten und Falschspielern”. Die optimistischen Bewertungen der Dotcom-Firmen, die ihre Kurse nach oben trieben, seien nicht durch solide betriebswirtschaftliche Fakten gedeckt. Diese Vermutung erwies sich am Ende auch als richtig. Der Nemax erlebte einen beispiellosen Absturz. Im Jahr 2000 waren die am Neuen Markt notierten Unternehmen 235 Mrd. Euro wert, zwei Jahre später waren es nicht einmal mehr 30 Mrd. Euro. Was war passiert? Den kühnen Wachstumsplänen der Unternehmen folgte keine ökonomische Performance.
Ein Kartenhaus von Börsenphantasien
Beispielhaft hier der Fall von Daniel David, der als Schlagersänger nur mäßig erfolgreich war und sein Glück als Unternehmer suchte: Am Tag der totalen Sonnenfinsternis, dem 11. August 1999, ging seine Firma Gigabell an die Börse. Auf der Premierenparty verkündete der Firmengründer: „Wenn die Gigabell ihr Debüt am Neuen Markt feiert, geht die Sonne gleich zweimal auf.“ Das Unternehmen war ein schlichter Internetprovider und machte von Beginn an Verluste. Es erreichte trotzdem einen Wert von 800 Mio. Euro an der Börse. Doch die Gewinne bleiben aus. Im November 2000 war Gigabell insolvent und wurde als erstes Unternehmen aus dem Neuen Markt ausgeschlossen. Andere Unternehmen bedienten sich betrügerischer Machenschaften, Bilanztricksereien und falscher Ad-hoc Meldungen, um den Schein eine Zeit lang aufrecht zu erhalten.
So führten nicht nur in Deutschland solche und ähnliche fehlgeschlagene Businesspläne hochgejubelte Firmen in die Pleite – und zwar in einer Geschwindigkeit, die vor allem unerfahrene Anleger*innen überrumpelte. Viele von ihnen versäumten die Gelegenheit, ihre Aktien rechtzeitig zu veräußern und mussten teils erhebliche Verluste verschmerzen. Auch der amerikanische Nasdaq stürzte von 5 048 Punkten am 10. März 2000 auf 1 114 Punkte am 9. Oktober 2002 ab.

Was bleibt: Der Innovationsschub
Der Börsencrash vernichtete eine Reihe von Unternehmen und beträchtliches Anlegervermögen. Doch auf lange Sicht gesehen haben sich Internet und Digitalisierung nicht aufhalten lassen. Nicht nur Global Player wie Google, Apple, Facebook oder Amazon verzeichnen gigantische Umsätze. Die Unternehmen der New Economy haben unser privates und berufliches Leben grundlegend verändert.