ifo Jahresversammlung: Soziale Marktwirtschaft 2049

Auch die Jahresversammlung des ifo stand am 27. Juni 2024 im Zeichen des Jubiläums. Anlässlich des 75. Geburtstags blickten die versammelte Belegschaft, Kurator*innen, Gremienmitglieder und Gäste in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität aber nicht nur zurück auf die reiche Geschichte des Instituts. Das Motto "Soziale Marktwirtschaft 2049 – was wird aus unserem Wohlstand und wer wird daran teilhaben?" richtete die Diskussionen und Vorträge vor allem nach vorne aus: Auf künftige Herausforderungen, Szenarien, und Maßnahmen, die notwendig sind, damit alle Bevölkerungsgruppen vom Model Soziale Marktwirtschaft profitieren. Ein Einblick:

Große Aula der LMU während der Jahresversammlung
Clemens Fuest hinterm Podium
Clemens Fuest bei seiner Einführung zur ifo Jahresversammlung 2024 am 27. Juni 2024 in der Großen Aula der LMU München.

75 Jahre Soziale Marktwirtschaft

Der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft, erklärt Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, in seiner Einführung, ist eng mit Ludwig Erhard verbunden, der für die Gründung des ifo Instituts vor 75 Jahren entscheidende Bedeutung hatte. Für Erhard waren Wettbewerb und das Vertrauen auf den Markt die zentralen Elemente dieses Wirtschaftssystems, das – so aktuelle Umfragen – von einer breiten Bevölkerungsmehrheit unterstützt wird und für einen nach Einschätzung der Befragten zufriedenstellenden Wohlstand sorgt.  

Allerdings sind die Herausforderungen, denen sich dieses Wirtschaftssystem stellen muss, groß. Vor allem das strukturelle Problem der ständig zunehmenden Arbeitskräfteknappheit führt zu sinkendem Produktionspotenzial. Alarmierend ist, dass in Deutschland pro Beschäftigtem im weltweiten Vergleich die wenigsten Arbeitsstunden geleistet werden. Dies liegt nicht nur an der hohen Teilzeitarbeitsquote, sondern auch an einem Steuersystem, bei dem in vielen Fällen Mehrarbeit nicht zu entsprechenden steuerlichen Vorteilen führt. Ebenso groß sind die Herausforderungen durch die notwendige Dekarbonisierung, die Folgen des Klimawandels (Hochwasserschutz), die Außenhandelsfriktionen (Decoupling von China) sowie durch den Nachholbedarf bei digitaler Technologie und öffentlicher Infrastruktur in Deutschland. 

Zwischen Spitzenforschung und Praxis 

Das Grundgesetz, das in diesem Jahr wie das ifo Institut sein 75-jähriges Bestehen feiert, führt Christian Lindner, ehemaliger Bundesminister der Finanzen in seiner Eröffnungsrede aus, schuf die Basis für die heutige dezentrale Wirtschaftsordnung in Deutschland, die das individuelle Eigentum schützt. Daraus hervorgegangen ist unser heutiges Wirtschaftssystem, das durch die Soziale Marktwirtschaft geprägt ist. Wenn es heute um hohe Subventionen für die Klimawende und die Förderung klimafreundlicher Technologien geht, die eine hohe Staatsverschuldung in Kauf nehmen, dann verbietet dies die Soziale Marktwirtschaft, die eine klare Stabilitätspolitik vor allem in fiskalischen Entscheidungen voraussetzt.  

Eine verordnete und punktuelle Unterstützungspolitik muss durch den in der Sozialen Marktwirtschaft angelegten Dezentralismus ersetzt werden. Jeder Einzelne prägt die Wirtschaftsordnung mit seiner durch den Wettbewerb freigesetzten schöpferischen Kraft und sichert so den Fortschritt. Voraussetzung hierfür ist, dass die Rahmenbedingungen für alle Wirtschaftsteilnehmenden verbessert werden. Genauso wichtig ist ein Wandel in der Einstellung: Gefordert sind Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft und unternehmerisches Risiko jedes Einzelnen.

Die Herausforderungen der Wirtschaft in Deutschland – so etwa die notwendigen Infrastruktur- oder Verteidigungsausgaben – sollten nicht mit dem Ruf nach neuer Verschuldung, sondern mit klaren Prioritäten bei der Verteilung der enormen zur Verfügung stehenden Mittel vor allem aus Steuereinnahmen beantwortet werden: „Wir haben keinen Mangel an Geld, wir haben einen Mangel an Mut, Prioritäten zu setzen.“

Christian Lindner bei der Podiumsdiskussion.
Christian Lindner während der Diskussion im Anschluss an seine Eröffnungsrede.
Simone Bagel-Trah (links) und Annette Niederfranke (rechts)
Simone Bagel-Trah (links) und Annette Niederfranke (rechts) im Austausch während der Podiumsdiskussion.

Flexibel auf die aktuellen Probleme reagieren

Auf die aktuellen wirtschaftlichen Probleme muss jedes Unternehmen für sich antworten und darf nicht auf die Politik warten, erläutert Simone Bagel-Trah, Vorsitzende des Aufsichtsrats und des Gesellschafterausschusses der Henkel AG & Co. KGaA. Unternehmen können etwas tun, aber für ihre Investitionen brauchen sie von der Politik langfristige Planungssicherheit. Wichtig ist die hohe Flexibilität bei den Arbeitsmodellen und bei der Weiterbildung, die von den Unternehmen gefördert werden und die deren Attraktivität bei der Suche nachdringend benötigten Arbeitskräften enorm erhöhen. 

Außerdem muss man früh ansetzen, um die Teilhabe an Bildung und Arbeit für alle zu sichern – das ist eine notwendige zu priorisierende Investition des Staates, kommentiert Annette Niederfranke, Staatssekretärin a.D., Direktorin der International Labour Organization (ILO)/Deutschland. Ebenso müssen Anreize, mehr zu arbeiten, geschaffen werden. So müssen etwa Frauen durch absolut verlässliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten unterstützt werden und die Kinderbetreuung muss in den Köpfen aller zu einer Selbstverständlichkeit werden. Durch neue Steuermodelle kann man die Arbeit von beiden Partnern in der Ehe fördern, wenn auch deren Altersversorgung garantiert ist. 

Ein Strukturwandel ist unvermeidbar

Ein Strukturwandel ist unvermeidbar („Die Dinge werden sich ändern.“), konstatiert Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats Wirtschaft. Die Politik muss den Weg, für den sie sich entscheidet, vermitteln. Wenn CO2-Abgaben das Mittel sind, dann muss geklärt werden, wie Umrüstungen für die Unternehmen umsetzbar sind. Eine zu restriktive Schuldenbremse könnte durch moderate Verschuldung abgelöst werden. Voraussetzung ist ein klarer Plan, eine „Road Map“, und Regeln mit Bindungswirkung, damit mehr Geld nicht nur zu mehr Begehrlichkeiten führt. Wichtig für die Zukunft ist, dass High Tech eine breite Akzeptanz erfährt, so dass die Innovationen, die in Deutschland vorangetrieben werden, auch zu Produktivität im Lande führen. KI wird ein Gamechanger sein, da die großen Plattformen mit den Daten bei den „Großen“ stehen – deren Vorherrschaft deshalb auch durch ein funktionierendes Wettbewerbsrecht nicht gebrochen werden kann.

Monika Schnitzer im Sessel und am Diskutieren.
Monika Schnitzer bei der Jahresversammlung in der Großen Aula.
Monika Schnitzer, Simone Bagel-Trah, Annette Niederfranke und Clemens Fuest bei der Podiumsdiskussion
Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft diskutieren von links Monika Schnitzer, Simone Bagel-Trah und Annette Niederfranke unter der Moderation von Clemens Fuest.

Die Soziale Marktwirtschaft der Zukunft

Welche Aussichten sehen die Panelist*innen für die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland im Jahr 2049: Deutschland wird ein Innovationsstandort sein – sowohl technologisch als auch sozial. Aus Freiheiten erwachsene Chancen werden ergriffen. Der Industriestandort Deutschland wird durch eine hohe aus Dienstleistungen gewonnene Wertschöpfung gestärkt. Es gelingt, innerhalb der planetaren Grenzen zu wirtschaften. Deutschland wird vorbildlich sein für seine Leistungen im sozialen Bereich, weltoffen, global orientiert, und attraktiv für die Zuwanderung in seine Arbeitsmärkte. 

Das vollständige Video zur Jahresversammlung sehen Sie hier:

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