Fördern und fordern: Die Hartz-Reformen

„Agenda 2010“ nannte man die von der rot-grünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder umgesetzten Maßnahmen, mit denen die Konkurrenzfähigkeit deutscher Unternehmen auf dem Weltmarkt verbessert werden sollte. Wichtiger Baustein in diesem Programm war die Neuregelung der Sozialleistungen für Erwerbslose, die am 1. Januar 2005 in Kraft trat und umgangssprachlich nach Peter Hartz benannt wurde, der das Konzept für diese Reform entwickelt hatte. 

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Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bundeskanzleramt am 16.08.2002 | picture alliance
Bundeskanzler Gerhard Schröder (rechts) und der Vorsitzende der Kommission Peter Hartz (links) am 16. August 2002.

Ziel: Belebung des Arbeitsmarktes

Das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ verband die Leistungen der Arbeitslosenhilfe mit denen der Sozialhilfe und führte zu einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Von der damit einhergehenden Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung profitierten Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen zugleich.

Das Gesetz regelte die wirtschaftliche Grundsicherung für arbeitslose Erwerbsfähige, die über kein ausreichendes Einkommen verfügten und auf kein Vermögen zurückgreifen konnten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Gleichzeitig sollte aktiv die Rückkehr ins Arbeitsleben betrieben werden. Der Staat half mit gezielten Vermittlungsangeboten von freien Stellen und unterstützte berufliche Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Wer diese Angebote nicht annehmen wollte, musste eine Kürzung seiner Bezüge in Kauf nehmen. Fördern und fordern, so lautete der Leitgedanke.

So entstanden die Hartz-Reformen

Peter Hartz, Gewerkschafter, Sozialdemokrat und von 1993 bis 2003 Personalvorstand der Volkswagen AG, leitete eine Kommission, die im Auftrag der Bundesregierung Vorschläge für eine Arbeitsmarktreform in Deutschland erarbeitete. Die dabei entwickelten Konzepte wurden von 2002 bis 2004 in vier Phasen, von Hartz I bis Hartz IV, in die Tat umgesetzt. Ziel dieser Maßnahmen war es, die Zahl der Arbeitslosen und damit auch die Sozialausgaben zu senken, außerdem sollte der Versuchung vorgebeugt werden, die Arbeitslosenunterstützung als bequeme Alternative zur Erwerbsarbeit zu missbrauchen. Mit Erwerbsarbeit sollte man auf jeden Fall mehr Geld verdienen können als durch staatliche Leistungen, die im Zuge der Reformen massiv reduziert wurden. Entsprechend sah sich der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder heftigen Widerständen von Gewerkschaften und Sozialverbänden ausgesetzt.

Am Tisch versammelt: Die konstituierende Sitzung der Kommission „Moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt" am 6. März 2003 unter dem Vorsitz von Peter Hartz. | picture alliance
Die konstituierende Sitzung der Kommission „Moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt" am 6. März 2003 unter dem Vorsitz von Peter Hartz.
Protest gegen Arbeitsmarktreform | picture alliance
Rund 10.000 Menschen demonstrieren am 4. August 2004 in der Magdeburger Innenstadt gegen die Arbeitsmarktreform.

ifo mit Blaupause für Reformen

Im Mai des Jahres 2002 wurde im ifo Institut eine Studie zur Aktivierenden Sozialhilfe vorgestellt. Hier heißt es, dass der Sozialstaat oft nicht soziale Gerechtigkeit als Gegengewicht zum Markt herstellt, sondern teils zu sichtbaren Defekten des Arbeitsmarkts beiträgt. Als besonders problematisch wurde dabei die damalige Sozialhilfe eingeschätzt, weil sie eine feste Lohnuntergrenze in das Tarifsystem einzog. Ebenso wenig, wie kaum jemand bereit sei, zu einem Lohn unterhalb der Sozialhilfe zu arbeiten, könnten Unternehmen Löhne zahlen, die höher ausfielen als die geleistete Wertschöpfung. Arbeitslosigkeit im Niedriglohnbereich sei die Folge. Der Vorschlag: Nicht hinreichende Einkommen sollten durch staatliche Lohnergänzungsleistungen ausgeglichen werden. Bedingung hierfür sei, dass je nach Leistungsfähigkeit Arbeiten angenommen werden müssten. Ein Rückzug aus dem regulären Arbeitsmarkt würde unmöglich. Diese Veränderungen machten es für Unternehmen und private Haushalte attraktiv, neue Jobs zu schaffen. Einige Grundzüge der Hartz-Reformen waren mit diesem Vorschlag des ifo Instituts vorformuliert. 

Aus der Steuer finanziert: Das Arbeitslosengeld II

Die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II (ALG II) war die entscheidende Neuerung im Rahmen von Hartz IV. Damit sollten die Systeme der sozialen Sicherung an die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse angepasst werden.

Das Solidaritätsprinzip der deutschen Sozialversicherung stieß Ende des 20. Jahrhunderts an seine Grenzen: Die durch steigende Arbeitslosigkeit vermehrten Defizite der sozialen Sicherungssysteme konnten nicht unbegrenzt durch Steuereinnahmen ausgeglichen werden. Hartz IV führte eine einheitliche, steuerfinanzierte Grundsicherung für Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger ein, das Arbeitslosengeld II. Es entlastete die Beitragszahlenden, die das nach den bisherigen Regeln ausbezahlte Arbeitslosengeld I finanzierten. 

Viele Alleinerziehende und Geringverdiener sind nach der Einführung von Hartz IV auf die „Tafel“ angewiesen, 2006. | picture alliance
Eine der vielen ehrenamtlichen „Tafeln“ in Deutschland bei der Lebensmittelausgabe, 2006.
Der jüngste Koalitionsvertrag, hier bei seiner Vorstellung am 24. November 2021, sah die Einführung des Bürgergelds vor (v.l. Christian Lindner (FDP), Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock (B90/Die Grünen), Robert Habeck (B90/Die Grünen), Norbert Walter-Borjans (SPD), Saskia Esken (SPD). | picture alliance
Die 2021 gewählte Regierungskoalition aus FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei der Vorstellung des jüngsten Koalitionsvertrags.

Dringende Reformen

Der Ruf nach Reformen von Hartz IV wurde in den folgenden Jahren immer lauter. Umstritten waren etwa die Höhe der Leistungen, das System der Sanktionen oder die Zumutbarkeit von Stellen, die den Arbeitslosen angeboten wurden. Das ifo Institut begleitete diese Debatten in umfangreichen Stellungnahmen und legte im Februar 2019 ein eigenes Reformkonzept vor, das 2021, nach den Beschlüssen der Ampelkoalition zu einer Reform von Hartz IV, noch einmal diskutiert wurde.

Aus Sicht des ifo Instituts gilt es, Fehlanreize zu vermindern. Menschen, die Grundsicherung beziehen, dürften nicht mehr davon abgehalten werden, Arbeiten mit höheren Einkommen anzunehmen, um damit aus eigener Kraft die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung zu verringern. Außerdem muss verdeckte Armut als solche erkannt werden. Wer andere Transferleistungen wie Wohngeld oder Kinderzuschlag in Anspruch nähme, gilt nicht mehr als Hartz-IV-Empfänger und verschwindet aus der Statistik, ohne dass ihm mehr Geld zur Verfügung steht.

Zum 1. Januar 2023 wurde in Deutschland das Bürgergeld eingeführt, die Hartz-IV-Ära ging zu Ende.

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