Im Frühjahr 2010 spitzte sich die Lage dramatisch zu: Griechenland konnte das Ausmaß seines bis dahin verschleierten Haushaltsdefizits und seines Schuldenstands nicht mehr verheimlichen. Der Fehlbetrag im Staatshaushalt war viermal so groß wie zuvor angegeben. Die Zinssätze für griechische Staatsanleihen waren auf dem Kapitalmarkt unbezahlbar geworden. Griechenland musste am 23. April 2010 Finanzhilfen beantragen, um eine Staatsinsolvenz abzuwenden. Für die internationalen Geldgeber ein Grund zur Flucht. Es kam zu massiven Schwierigkeiten auch für andere Länder des Euroraums.


Wie schlitterte Griechenland in die Krise?
Die Eurokrise von 2010 eskalierte als Folge der weltweiten Finanzkrise, die 2007 durch das Platzen der Immobilienblase in den USA ausgelöst und durch den Konkurs wichtiger Banken zusätzlich verschärft wurde. Ein Teil der regelmäßigen Staatseinnahmen Griechenlands gingen verloren. Bei einer Überprüfung stellte sich heraus, dass die griechische Defizitquote beinahe 16%, die Höhe der Schulden ca. 130% des Bruttoinlandsprodukts betrugen. Dies überstieg die im Maastrichter Vertrag und im Stabilitätspakt ausgemachten Grenzen (3% Defizit und 60% Schulden) um ein Vielfaches. Die Einstufung Griechenlands durch internationale Ratingagenturen verschlechterte sich dramatisch, der Zinssatz für griechische Staatsanleihen stieg von 8,02% im Jahr 2010 auf 25,17% im Jahr 2011.
Andere Länder geraten in Schieflage
Diese Turbulenzen führten zu einem massiven Abzug von Kapital und auch in anderen Euroländern zur Krise. Länder wie Irland und Spanien, die hart durch die Immobilienkrise getroffen wurden, in deren Folge es zu einer Schulden- und Bankenkrise kam, gerieten ebenfalls an den Rand einer Staatspleite. Das irische BIP sank 2009 um 7%, die Arbeitslosigkeit wuchs 2010 auf 14%. Auf der einen Seite fehlten wichtige Staatseinnahmen, auf der anderen Seite mussten enorme Summen für die Bankenrettung aufgewendet werden. Diese nationalen Rettungsaktionen beliefen sich auf ca. 35% des irischen Bruttoinlandsprodukts, die Schuldenstandsquote explodierte von nur 25% (2007) auf fast 100% (2010). Auch In Spanien verringerte sich 2009 die Wirtschaftsleistung um fast 4%, 2010 betrug die Arbeitslosigkeit schon 20%.


Der Rettungsschirm wird aufgespannt
Zur Unterstützung der instabilen Staaten intensivierten die EU und die Europäische Zentralbank ihre Zusammenarbeit. Gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) spannten sie den „Euro-Rettungsschirm" auf. Er genehmigte Kredite nur noch unter der Voraussetzung einer rigorosen Sparpolitik. Eine weitere EU-weite Maßnahme war das Europäische Semester, das EU-Kommission und EU-Ministerrat die Möglichkeit verschaffte, in den ersten sechs Monaten jeden Jahres die nationalen Budgetentwürfe zu begutachten und gegebenenfalls Änderungen anzumahnen. Außerdem verpflichtete der Fiskalpakt von 2012 zu einer strengen Haushaltspolitik und zur Einführung einer Schuldenbremse. Bundeskanzlerin Angela Merkel befürwortete diese strengen Maßnahmen, die Wiederherstellung wirtschaftlicher Stabilität erfodere in den Krisenstaaten eine konsequente Sparpolitik. Nur wer eine strikte Haushaltspolitik verfolgte, bekam Zugang zu den Mitteln des Euro-Rettungsschirmes.
„Atmende Währungsunion“ als Ausweg?
Hans-Werner Sinn, bis 2016 Präsident des ifo Instituts, begleitete aktiv die Diskussion. Erstmals nahm er in einer Sonderausgabe des Schnelldienstes im November 2010 Stellung. 2015 fasste er in seinem Buch „Der Euro. Von der Friedensidee zum Zankapfel“ die jahrelange Diskussion zusammen. Sein Fazit: Den Partnern der Währungsunion müsse die Möglichkeit genommen werden, bei einer Schieflage im Staatshaushalt risikoreiche Investitionen mit fremdem Geld in dem Bewusstsein zu tätigen, dass mögliche Verluste durch die Gemeinschaft abgefangen werden würden. Um die Krise zu überwinden, sei ein konsequenter Schuldenschnitt für die Krisenländer notwendig. Die mit diesem Schnitt entlasteten Länder müssten dann für eine Übergangszeit die Währungsunion verlassen. Nur so könne ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt werden. In einer solchen „atmenden Währungsunion“ wäre es nicht ungewöhnlich, dass Länder immer wieder ein- und austreten.


Mit 5 Punkten aus der Krise
Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts seit 2017, veröffentlichte gemeinsam mit Johannes Becker im Jahr seines Amtseintritts den Band „Der Odysseus-Komplex. Ein pragmatischer Vorschlag zur Lösung der Eurokrise“. Das Fazit der Autoren: Wie Odysseus, der sich an den Mast seines Schiffes fesseln lässt, um dem Gesang der Sirenen zu widerstehen, müssten sich auch die Eurostaaten an feste Regeln binden, um der Verführung durch Neuverschuldung, Reformaufschub und laxe Regulierungen zu entkommen. Ihr Vorschlag ist ein „Fünf-Punkte-Programm für eine stabile Eurozone“ mit Reformvorschlägen für eine Bankenregulierung auf EU-Ebene, wirkungsvolle Maßnahmen zur Schuldenkontrolle, einer Neuausrichtung der Europäischen Rettungsmaßnahmen, der Erklärung von Maßnahmen für den Fall, dass ein Land innerhalb einer Frist nicht auf den Kapitalmarkt zurückkehren kann, und schließlich einem klaren Verbot der Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank sowie einer Definition des Mandats der EZB. Oberstes Ziel ist bei all diesen Maßnahmen die Stärkung der nationalstaatlichen Verantwortlichkeit für die eigene Wirtschaftspolitik.