Das Verhältnis der Brit*innen zur Europäischen Union war immer distanziert. Am Brexit-Referendum von 2016 beteiligten sich 72,2% der Wahlberechtigten – 51,9% stimmten für den Austritt aus der EU. Damit war das Vereinigte Königreich das erste Mitglied, das die Gemeinschaft verlassen hat. Mit immensen wirtschaftlichen Folgen, wie das ifo Institut berechnet hat. Nach intensiven einjährigen Verhandlungen trat 2021 ein neues Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich in Kraft.


Wie konnte es dazu kommen?
Der Brexit versprach bessere Kontrolle der Zuwanderung in das Vereinigte Königreich, keine Zahlungen mehr an die EU und volle Souveränität. Dagegen standen Warnungen, durch den Ausstieg aus dem Binnenmarkt sei die ökonomische Stabilität der Insel gefährdet. Politiker*innen unterschiedlicher Lager diskutierten heftig – im Parlament, in Zeitungen, Talkshows und Sozialen Medien. Deutliche Anzeichen für eine Brexit-Stimmung waren schon 2014 zu erkennen: 2013 hatte Premierminister David Cameron angekündigt, die Verträge zwischen Großbritannien und der Europäischen Union zu reformieren. Nach dem Wahlsieg der Konservativen Partei 2015 unter Cameron wurde das Brexit-Referendum für das Jahr 2016 angesetzt. Außerdem konnte der Premierminister in der EU weitere Sonderreglungen für Großbritannien durchsetzen – für den Fall, dass sich das Volk gegen einen Brexit aussprechen würde.
Ein gespaltenes Königreich
Das Ergebnis des Brexit-Referendums machte klar, welch tiefe Gräben das Vereinigte Königreich durchzogen. In England und Wales votierte eine Mehrheit für den Brexit, in Nordirland und Schottland stimmte der Großteil der Bevölkerung für den Verbleib in der EU, ebenso die Wahlberechtigten in London. Doch die Trennlinien machten sich nicht nur regional bemerkbar, sondern auch zwischen den Generationen. Unter den jungen Brit*innen stimmten deutlich mehr für den Verbleib in der Europäischen Gemeinschaft als unter den älteren Landsleuten. Im November 2018 vereinbarte Theresa May, die Nachfolgerin David Camerons, mit der EU einen vorläufigen Austrittsvertrag. Der endgültige Ausstieg war für den 29. März 2019 geplant, musste aber auf den 12. April und schließlich auf den 31. Oktober verschoben werden. Zu komplex und langwierig erwies sich die Ausarbeitung der Details zwischen den Verhandlungspartnern.


Ein zähes Ende
Von der Öffentlichkeit und ihrer eigenen Partei heftig kritisiert, verkündete Theresa May im Sommer 2019 ihren Rücktritt. Ihr Nachfolger Boris Johnson stimmte seine Landsleute auf einen harten Brexit ohne vertragliche Vereinbarungen ein. Nachdem aber das britische Parlament ein Gesetz gegen einen ungeregelten Brexit auf den Weg gebracht hatte, verschob die EU den Austritt noch einmal auf den 31. Januar 2020 – wo er dann wirklich stattfand. Noch immer fehlte ein Handelsabkommen, verbunden mit einer Freihandelsvereinbarung. Es konnte nach langwierigen Verhandlungen erst am 1. Januar 2021 in Kraft treten. Nun werden im bilateralen Handel zwar weiterhin keine Zölle fällig, bei Exporten aus dem Vereinigten Königreich müssen aber umfangreiche Zollformalitäten beachtet werden. Weitere Kooperationen wurden geschlossen, etwa auf den Feldern Kriminalitätsbekämpfung, Klimapolitik und Energieversorgung. Die Zusammenarbeit wurde damit auf wichtigen Gebieten fortgesetzt und Großbritannien nicht vollständig von der EU getrennt.
Wirtschaftliche Folgen des Brexits
Aktuell sind – wie von den Gegnern des Brexit prognostiziert – die negativen wirtschaftlichen Folgen für die EU-Länder weniger schwerwiegend als für Großbritannien. Immerhin ist die Insel von Platz drei der wichtigsten Handelspartner Deutschlands im Jahr 2015 auf Platz zehn im Jahr 2021 abgestiegen. 2022 aktualisierte das ifo Institut seine erste Studie zu den Folgewirkungen des Brexit aus dem Jahr 2017. Die wichtigsten Erkenntnisse:
Seit dem Brexit-Referendum vom 23. Juni 2016 wertete das britische Pfund um etwa 13% ab. Die deutschen Güterexporte in das Vereinigte Königreich sind seit 2016 nominell von 90 Milliarden Euro auf 84 Milliarden zurückgegangen. In vielen Branchen hat sich der Anteil des Vereinigten Königreichs am deutschen Import und Export deutlich verringert, besonders in den Sektoren Chemie, Fahrzeuge, Papier und Mineralprodukte. Die EU-Mitgliedstaaten sind unterschiedlich betroffen. Die wirtschaftliche Größe, aber auch die geographische und kulturelle Nähe spielen eine wichtige Rolle – je näher ein Land dem Vereinigten Königreich steht, desto höher fallen dessen Verluste aus.
Auch wenn die EU insgesamt und Deutschland im Besonderen durch den Brexit geringere wirtschaftliche Einbußen zu verzeichnen haben als Großbritannien selbst, die Folgen des Brexit sind gravierend. Und beide Seiten leiden unter der Ungewissheit über die künftige Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen.
