Navigationssystem für die Wirtschaft: ifo Konjunkturprognosen

Private Haushalte planen ihr Budget, Unternehmen kalkulieren Investitionen, die Bundesregierung legt die staatlichen Ausgaben fest – vom Single-Einkommen bis zum Staatsbudget beeinflussen die Erwartungen im Hinblick auf die zukünftige wirtschaftliche Situation eine Vielzahl von Entscheidungen. Da sind Prognosen äußerst willkommen. Konjunkturprognosen schätzen die gesamtwirtschaftliche Entwicklung voraus. Das ifo Institut veröffentlicht viermal im Jahr die ifo Konjunkturprognose für Deutschland und zweimal im Jahr die ifo Konjunkturprognose für Ostdeutschland und Sachsen. 

Container am Hamburger Hafen | unsplash, Bernd Dittrich
Arbeiterinnen in einer Werkshalle der Firma Telefunken. | picture alliance
Arbeiterinnen im Jahr 1958 in einer Fabrik

ifo fühlt den Puls der Wirtschaft

Ab 1951 beschäftigte sich die ifo-Abteilung „Allgemeine Wirtschaftsbeobachtung und Konjunkturpolitik“ mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Zu den Schwerpunkten dieser Abteilung zählten die gesamtwirtschaftliche Konjunkturdiagnose sowie die Konjunkturprognose, wobei es zunächst darum ging, die Grundlagen für eine vierteljährliche Berechnung des Sozialprodukts zu schaffen. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre wurde neben der kurzfristigen Analyse der Wirtschaftsentwicklung der Ruf nach einer langfristigen Struktur- und Wachstumsanalyse immer lauter. Dafür lieferten die bisher verfügbaren Daten nicht ausreichend Informationen, so dass sie durch eine Reihe empirischer Untersuchungen ergänzt werden mussten. Auf dieser Basis berechneten die Forscherteams zunächst die zu erwartende Zahl der Erwerbsfähigen sowie die erforderliche Arbeitszeit für einzelne Wirtschaftszweige. Nun war es möglich, das Arbeitsvolumen in der Bundesrepublik für die Dauer eines ganzen Jahrzehnts zu prognostizieren. Daraus wurde – unter Einbeziehung der Produktivitätsentwicklung – das bei Vollbeschäftigung zu erwartende Sozialprodukt abgeleitet.

Elektronische Datenverarbeitung 

Die damaligen Arbeiten des ifo Instituts galten auch deshalb als bahnbrechend, weil sie seit 1959 die Möglichkeiten elektronischer Datenverarbeitung nutzten. So konnten immer größere Datenmengen gesammelt, strukturiert und ausgewertet werden. Dank der neuen Technologie konnte das ifo Institut eine Vorausberechnung des Transportaufkommens bis 1970 durchführen sowie Aussagen über die langfristigen Entwicklungen des Stahlexports treffen. Ein Meilenstein war auch die erste gesamtwirtschaftliche Prognose für die Bundesrepublik Deutschland, die von 1959 bis 1961 erarbeitet wurde. Sie lieferte eine Vorausberechnung der Produktionsentwicklung bis 1970 – für neun Zweige der Industrie und vier Verkehrszweige.  

Zwei Männer vor Maschinen und Papier am Schreibtisch
Arbeitsalltag am ifo im Jahr 1964
ifo Prognose BIP
ifo Prognose für die Entwicklung des BIP.

Das „Geheimnis“ der Konjunkturprognose

Eine Konjunkturprognose basiert auf der Annahme, dass wirtschaftliche Aktivitäten nach einem Muster sich wiederholender Zyklen ablaufen. Ein Konjunkturzyklus besteht aus vier Phasen: Erholung, Boom, Abkühlung und Krise. Eine Aufgabe der Konjunkturprognose ist, mögliche Störungen im konjunkturellen Verlauf zu erkennen und deren Auswirkungen auf die zukünftige gesamtwirtschaftliche  Entwicklung zu ermitteln. Die zentrale Kennzahl, die prognostiziert wird, ist das Bruttoinlandsprodukt, das alle wirtschaftlichen Aktivitäten einer Volkswirtschaft umfasst.

Prognosen vs. Prophezeiungen 

Wissenschaftlich erstellte Konjunkturprognosen sind alles andere als Wahrsagerei. Zunächst erfolgt die detaillierte Analyse der wirtschaftlichen Lage, die Konjunkturdiagnose. Dabei werden die aktuelle Position der Wirtschaft im Konjunkturzyklus sowie deren Treiber identifiziert. Außerdem werden Annahmen aufgestellt, ob diese Einflusskräfte für den Prognosezeitraum fortbestehen werden und ob neue Faktoren zu erwarten sind.

Im Kern gewinnen die Forschenden die Ergebnisse ihrer Prognosen dann aus der Analyse historischer Betrachtungen und der dabei gewonnenen Erkenntnisse für die Entwicklung gesamtwirtschaftlicher Größen. Konjunkturforschende wissen, dass Volkswirtschaften auf Störungen nach gewissen Schemata reagieren. Ihre Aufgabe ist es, „Schocks", die von außen auf eine Volkswirtschaft treffen, zu identifizieren und mit dem Blick auf die Entwicklung bei ähnlichen Krisen in der Vergangenheit Prognosen zu erstellen. An Grenzen stoßen die Forscher dabei bei extremen Ereignissen – so etwa der Corona-Pandemie, für die es kaum vergleichbare Daten gab.  

Leerer Viktualienmarkt
Der Viktualienmarkt in München, leergefegt: Die Corona-Pandemie stellte auch wissenschaftliche Prognosen vor eine Herausforderung.
Timo Wollmershäuser während der monatlichen Konjunktursitzung
Timo Wollmershäuser ist seit 2014 Leiter der ifo Konjunkturprognosen.

„Der menschliche Faktor“ 

Die Aussagekraft der Konjunkturprognosen entsteht am ifo Institut nicht allein auf Grundlage statistisch-mathematischer Methoden. Sie werden durch menschliche Expertise ergänzt. Die Prognostiker*innen bringen ihre Kenntnis des Wirtschaftsgeschehens und die Erfahrung aus langjähriger Konjunkturforschung ein und nehmen vor diesem Hintergrund eine qualitative Einordnung der Messergebnisse vor. Diese qualitativen Daten werden in mehrstufigen Analyseprozessen gemeinsam mit den gewonnenen Daten und Fakten verarbeitet und dabei durch Reduzierung der komplexen Informationen lesbare Prognoseergebnisse gewonnen. 

Methoden auf neuestem Stand: Der ifoCAST 

Für die Konjunkturprognose können zahlreiche am ifo Institut selbst – hier am wichtigsten der ifo Geschäftsklimaindex – und auch außerhalb gewonnene Indikatoren in Betracht gezogen werden. Für Deutschland allein existieren über 300 Frühindikatoren. Um die Fülle dieser unter sehr unterschiedlichen Bedingungen gewonnenen Informationen möglichst effektiv zu verdichten, bedienen sich die Forschenden der aktuellsten, durch den Fortschritt der Digitalisierung möglich gewordenen Methoden. Am ifo kommt seit 2020 das Prognosetool ifoCAST – eine Wortschöpfung aus ifo und Forecast – zum Einsatz, das vollautomatisiert abläuft und so jederzeit und mit überschaubarem Aufwand für die Forschenden die aktuelle Beurteilung der konjunkturellen Entwicklung ermöglicht.

Grafik des ifoCast
ifoCAST: Schneller als traditionelle Konjunkturprognosen
paralleler Lauf des ifo Geschäftsklima und der BIP Entwicklung
Das reale BIP und das ifo Geschäftsklima zeigen einen vergleichbaren Verlauf an.

Hohe Verlässlichkeit bietet Orientierung 

Die regelmäßigen Konjunkturprognosen des ifo Instituts bieten eine Orientierung bei wirtschaftlichen Entscheidungen. Sie erleichtern die Planung von Haushalten und Unternehmen, die in reale oder finanzielle Vermögensgüter investieren wollen, und helfen der Wirtschafts- und Finanzpolitik, angemessene Maßnahmen zu ergreifen.

Und dies mit einer hohen Verlässlichkeit: Die Prognosebilanz des ifo Instituts kann sich sehen lassen. Die Zuverlässigkeit der Prognosen für die Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts ist extrem hoch. Auch war die Treffgenauigkeit der ifo Konjunkturprognosen im Schnitt höher als die der entsprechenden Werte von Consensus Economics, einem globalen Umfrageunternehmen, das monatlich mehr als 700 Ökonomen zu ihren Prognosen für über 2.000 wirtschaftliche Indikatoren in 115 Ländern befragt.  

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