Aufschwung. Boom. Krise: Der ifo Geschäftsklimaindex

Der monatliche ifo Geschäftsklimaindex ist für Entscheidungsträger*innen in Wirtschaft, Politik und Finanzbranche unverzichtbar. Wie entstand beim ifo Institut die Idee, das Geschäftsklima zu ermitteln? Warum finden diese Zahlen auch außerhalb der Wirtschaft so viel Beachtung?

Professor Fuest als Interviewpartner in der Tagesschau am 25.01.2023
Der ifo Geschäftsklimaindex wird 1971 erstmals in einer der Dezemberausgaben des ifo Schnelldienstes veröffentlicht.
Der ifo Geschäftsklimaindex wird 1971 erstmals in einer der Märzausgaben des ifo Schnelldienstes veröffentlicht – noch an eher versteckter Stelle.

Eine Pionierleistung des ifo Instituts

Informationen über die aktuelle Situation der deutschen Wirtschaft durch Befragung von Unternehmenslenkern zu gewinnen: Diese Idee verfolgte bereits 1948 die „Informations- und Forschungsstelle für Wirtschaftsbeobachtung“ des Bayerischen Statistischen Landesamts, die ein Jahr später in das ifo Institut aufgehen sollte. Nach der Währungsreform 1948 hatten sich die Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft grundlegend verändert, verlässliche Zahlen waren rar und dynamische Indikatoren als Ergänzungen zu den Statistiken dringend gefragt. Diese im direkten Kontakt mit Unternehmern zu gewinnen, war damals eine absolute Innovation für die empirische Wirtschaftsforschung in Europa. Nach der Gründung im Jahr 1949 übernahm das ifo diese Form der direkten Befragung und entwickelte die Fragebögen weiter. Gefragt wurde ganz gezielt nach der Einschätzung der Entwicklung des eigenen Unternehmens und hier nicht nach konkreten Unternehmensdaten, sondern nach einer qualitativen Beurteilung – bis heute ein entscheidendes Merkmal der ifo Unternehmensbefragungen.  

In den 1960er Jahren konzentrierte sich die Analyse des umfangreichen Fragebogens immer stärker auf die Indikatoren des Geschäftsklimas. Dabei kombinierten die ifo-Experten die Einschätzungen der gegenwärtigen Unternehmenslage mit denen zur Geschäftserwartung für die nächsten sechs Monate, bis heute das Alleinstellungsmerkmal des ifo Geschäftsklimaindex. Ein großer Vorteil dieser Methode: Sie lässt frühzeitig Anzeichen für Wendepunkte in den konjunkturellen Phasen erkennen.  

Im März 1971 veröffentlichte das ifo sein „Geschäftsklima Verarbeitende Industrie“ erstmals an versteckter Stelle im ifo Schnelldienst. Damals ahnte niemand, welche Bedeutung dieser Frühindikator später für die öffentliche Wahrnehmung des Instituts erlangen sollte.  

Vier Sektoren, Lage und Erwartungen

Für den ifo Geschäftsklimaindex werden etwa 9 000 Fragebögen ausgewertet – mit Antworten aus Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, des Bauhauptgewerbes, des Groß- und Einzelhandels sowie des Dienstleistungssektors

Aus diesen gesammelten Daten werden nun die Differenzwerte ermittelt. Bei der gegenwärtigen Geschäftslage wird die Differenz zwischen den Antworten „gut“ und „schlecht“ errechnet, bei den Erwartungen geht es um die Differenz der Antworten „günstiger“ und „ungünstiger“. Die jeweiligen Mittelpositionen – also „befriedigend“ bei der aktuellen Geschäftslage und „gleich bleibend“ bei den Erwartungen – werden als neutral eingestuft und nicht in die Bewertung mit einbezogen. Der ifo Geschäftsklimaindex ergibt sich schließlich als Mittelwert aus den Salden der Geschäftslage und der Erwartungen.

 Der ifo Geschäftsklimaindex von 2019 bis 2023.
Der ifo Geschäftsklimaindex von 2019 bis 2023.
Geschäftsklima Beratung
Beratung zum ifo Geschäftsklima 2003 (v.l.): Reinhard Hild, Josef Lachner, Wolfgang Nierhaus, Gernot Nerb, Robert Koll, Paul Kremmel und Hans-Werner Sinn.

Ein Rechenbeispiel

Von den befragten Unternehmen schätzen in diesem Beispiel 40% ihre Lage als befriedigend ein, 35% als gut und 25% als schlecht. Der Anteil der Befragten (40%), der die Lage als befriedigend bezeichnet, wird nicht in die Berechnung mit einbezogen. Zur Ermittlung der gegenwärtigen Geschäftslage wird nun die Differenz ermittelt zwischen 35% („gut“) und 25% („schlecht“) – daraus ergibt sich der Wert „10“. Genauso wird der Wert für die Erwartungen für die nächsten sechs Monate festgestellt. Aus dem Wert für die aktuelle Lage und dem Wert für die Erwartungen wird als Mittelwert jeden Monat der ifo Geschäftsklimaindex berechnet. 

Der ifo Geschäftsklimaindex kann zwischen zwei Extremwerten schwanken. Bei einem Wert von „-100“ würden 100 % der Befragten die gegenwärtige Lage schlecht einschätzen sowie eine Verschlechterung der Entwicklung erwarten, bei einem Wert von „+100“ würden 100% der Befragten die gegenwärtige Lage gut einschätzen sowie eine Verbesserung der Entwicklung erwarten.

Strenges Protokoll bei der Veröffentlichung

Der ifo Geschäftsklimaindex gehört zu den meist beachteten Indikatoren für die Einschätzung der deutschen Wirtschaft, er kann an den Finanzmärkten Kursreaktionen auslösen. Deshalb folgen Berechnung und Veröffentlichung einem strengen Protokoll:

7:00h: Die Berechnung erfolgt in der Nacht vor der Veröffentlichung. Die Ergebnisse werden dem Leiter der Befragungen automatisch zugesandt. 

8:00h: Dieser analysiert die Werte und berücksichtigt dabei auch Teilergebnisse (etwa die Entwicklung in der Autoindustrie), die für die Interpretation des Gesamtergebnisses oft wichtig sind. Anschließend verfasst er einen Entwurf der Pressemitteilung.

8:45h: Ein exklusiver Kreis bespricht den Wortlaut der Pressemitteilung auf Deutsch und Englisch: der ifo-Präsident, der Leiter Konjunkturprognosen, der Leiter Befragungen, die Leiterin Kommunikation, der Pressesprecher sowie ein*e Übersetzer*in.

10:00h: Der Pressesprecher verliest die Pressemitteilung in einer Videokonferenz, kurz darauf wird sie auf Deutsch, Englisch und Französisch versandt. Zugeschaltet sind nur bei der Europäischen Zentralbank akkreditierte Nachrichtenagenturen. 

10:30h: Der Index wird auf der ifo-Website veröffentlicht. 

Graph zum ifo Geschäftsklimaindex und der realen Wachstumsrate
Hier werden der ifo Geschäftsklimaindex und die realen Wachstumsraten des Brutto-inlandsprodukts (BIP) dargestellt. Dabei lässt sich gut erkennen, wie hoch der Grad der Übereinstimmung ist.
Klaus Wohlrabe
Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo Befragungen

Verlässlicher Pulsmesser der Konjunktur

Warum findet der Geschäftsklimaindex des ifo so viel Beachtung? Seine Ergebnisse stimmen in hohem Maße mit der realen Konjunkturentwicklung überein. Deshalb ist er eine solide Basis für Entscheidungen in Unternehmen, Politik und Finanzwirtschaft. Er ist aktueller als andere offiziellen Indikatoren. So veröffentlicht etwa das Statistische Bundesamt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur einmal im Quartal.  

Die Motivation teilzunehmen ist für Unternehmen hoch: Die Unternehmen geben wertvolle Auskünfte – und haben ihrerseits exklusiven Zugang zu detaillierten Informationen, die sie an keiner anderen Stelle finden könnten. Diese Konstellation ist entscheidend für den Erfolg dieser wichtigsten Serviceleistung des ifo Instituts.

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